Ein Abschied und ein Reisetagebuch

Eine Blog-Website zu erstellen, nur um nie irgendetwas für diesen Blog zu schreiben, ist für Leute mit Schreib-Ambitionen schon eine traurige Angelegenheit. Letztens bin ich auf die alte Website gestoßen, die ich mir vor mittlerweile ganzen drei Jahren hochmotiviert von meinem Vater habe erstellen lassen, um darauf über meinen damals geplanten Freiwilligendienst in Port Elizabeth, Südafrika, zu berichten. Wer gut mit Zahlen ist, kann sich ausrechnen, dass aufgrund der fatalen Jahreszahl dieses Vorhabens auf dieser Website bis heute nichts steht, weil das mit dem "ich will jetzt endlich weg aus Deutschland" aufgrund eines Virus und einer Reisewarnung leider nie etwas wurde. Meine persönliche Beziehung zum Blogging war also bis vor Kurzem nonexistent.

Aber jetzt! Jetzt hat sie es geschafft, meine Damen und Herren, sie ist auf dem Weg in ein Auslandssemester. Drei Jahre Träumerei später ist es so weit, es geht zwar nicht nach Südafrika, noch nicht mal in ein Land außerhalb Europas, aber dafür in eins mit günstigen Zugpreisen (manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben). Die travel destination, das ist die Katholieke Universiteit Leuven in Belgien, und nein, ich bin nicht katholisch und ich muss auch nicht vor der Einschreibung dem Papst einen Treueschwur leisten, das ist primär ein historischer Titel und ich kann aller Voraussicht nach noch nicht mal eine Theologie-Vorlesung belegen. In Leuven gibt es seit 1425 eine Uni, die ihre Form über die Jahrhunderte des Öfteren veränderte, bis sie in ihrem heutigen Zustand ankam. Dafür, dass die Uni im weltweiten Vergleich so gut abschneidet, ist sie - so mein Eindruck - tatsächlich sehr unbekannt. Vielleicht überstrahlt auch die städtische Brauerei die Berühmtheit der Leuvener Bildungsstätten. Leuven selber ist ungefähr so groß wie Jena, hat also knapp 100.000 Einwohner, und ist mit dem Zug ca. 20 Minuten in östlicher Richtung von Brüssel entfernt. Kleinstadtfeeling praktisch, nichts, was mir unbekannt wäre.

Und da aus dem Südafrika-Blog ja nie etwas wurde, lasse ich meine semi-schriftstellerische Motivation jetzt eben an den knapp fünf Monaten Belgien aus, die auf mich zukommen, und zwar in vollkommener Missachtung der Frage, ob das überhaupt irgendjemanden interessiert. Sobald man sich mit dieser Frage nicht mehr auseinandersetzt, wird vieles einfacher, da bin ich ganz ehrlich. Ich werde also hin und wieder die Einträge, die ich in mein Reisetagebuch schreibe (kurzer Shout-Out an der Stelle an die Freundin, die es mir zum Geburtstag geschenkt hat), adaptieren und hier hochladen. Adaptieren aus dem Grund, weil mir die letzten Tage in Jena so langweilig war, dass ich zur Verfasserin von zu vielen pathetischen poetischen Absätzen über so schöne Dinge wie Abschied, Heimat, Reiseunruhe, Fernweh, Veränderung oder gepackte Koffer wurde. In einer dieser Eingebungen voller Melodramatik kam aus irgendeinem Grund der Löbauer Bahnhof vor, der mich aus dem trilex-Zugfenster kurz nach meiner Abreise aus Görlitz anstrahlte. Nicht schön, die Sache, und ich wollte sie etwaigen Leser*innen ersparen. Deswegen: Adaption. Wer wissen will, wie emotional ich wirklich bin, muss mich schon selbst fragen.

Gestern nutzte ich also die ruhigen Stunden der letzten Nacht in Jena, um zwei Stunden vor meinem Weckerklingeln aufzuwachen und zum Wiedereinschlafen mental meinen nächsten Eastplaining-Beitrag zu konzipieren, was mich dann so sehr in Anspruch nahm, dass ich erst knapp 20 Minuten vor dem Wecker tatsächlich wieder einschlief. Mein eigentlich geplanter Zug wurde eine Stunde vor Abfahrt abgesagt, worauf ich natürlich vorbereitet war und schon eine Stunde früher am Bahnhof stand, um eine ganz andere Verbindung zu nehmen. Gelobt seien aufgehobene Zugbindungen. Von halb fünf Uhr morgens bis halb zwei Uhr mittags war ich unterwegs und nahm die Hilfe von so einigen Fremden quer durch Deutschland verteilt in Anspruch, um meine beiden Koffer zu transportieren. Von sechs Zügen waren fünf pünktlich, eine gute Quote.

 

Die Sint-Pieterskerk in Leuven


Aber schlussendlich hatte ich belgischen Zug-Boden erreicht und meine Müdigkeit war einer adrenalingestützen freudigen Aufregung gewichen. Die drei Jahre Pandemie mit Einschränkungen von Reisen und Grenzverkehr haben bei mir dazu geführt, dass ich als fremdsprachenbegeisterte Person mittlerweile jedes Mal innerlich jubiliere, wenn die Menschen um mich herum - endlich - nicht mehr Deutsch sprechen. Die Zugbegleiterin wechselte elegant mitten während der Fahrt (glücklicherweise nicht mitten im Satz) von Französisch zu Niederländisch und ich war angekommen. Mein Zuhause für die nächsten paar Monate ist das Amerikaans College, welches von mehreren Leuten, denen ich Fotos schickte, sogleich als Hogwarts eingestuft wurde. Zumindest ästhetisch gesehen werde ich die nächsten paar Monate also wahrscheinlich in meiner ganz persönlichen Uni-Traumwelt leben, und vielleicht nicht nur ästhetisch gesehen, denn das erste, was ich hörte, als ich den Hof betrat, war Klaviermusik aus der knapp 300-jährigen Kapelle. Ein gutes Omen, vor allem, da mir bei meiner Führung durch das Gebäude mitgeteilt wurde, ich könne mich auch selbst zum Üben an besagtem Klavier eintragen. Die Kombination aus Klavier und alten Gebäuden ist der Schlüssel zu meinem Herzen, man muss es so sagen.

 

Mein Zimmer-Ausblick zum Innenhof des College. Mein Tour-Guide, ein anderer Leuvener Student, beantwortete während unseres Stopps in der wunderschönen Kapelle (links) mein ehrfürchtiges "I love old buildings" mit "Me too" und ebenso ehrführchtigem Schweigen und ich fühlte mich verstanden


Das Amerikaans College wurde im Jahr 1857 gegründet, um junge Europäer für die Missionarstätigkeit in Amerika auszubilden und amerikanischen Priestern ein Studium in Leuven zu ermöglichen. Heute bietet es zahlreichen Studierenden der KU Leuven während des Semesters ein Zuhause, inklusive designierten Party-Räumen. Knapp die Hälfte der Leute, die dort wohnen, sind internationale Studierende, die anderen kommen aus Flandern. Mit ihnen diskutierten wir bald die Eigenheiten des deutschen vs. des belgischen Biers und ich habe jetzt noch höhere Erwartungen an die hiesige Brauerei als zuvor. Als eine Geschichte studierende Mitbewohnerin hörte, dass ich aus Görlitz komme, wurde ich gefragt, ob man denn den Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland immer noch merken würde - ich glaube, es dauerte keine fünf Minuten. Ich verwies sie auf Eastplaining und sie bat mich, ihr mal den Link zu schicken. Auch wurde ich bisher von mindestens drei belgischen Mitbewohnern gefragt, ob ich denn schon ein Fahrrad hätte, was auch bereits auf der To-Do-Liste für nächste Woche steht. Ohne Fahrrad geht hier gar nichts, obwohl ich die Formulierung, Leuven sei auf einem Hügel erbaut, in Anbetracht der durchschnittlichen Steigung hier durchaus gewagt fand. Die Stadt an sich ist wunderschön, die Sprache einfach toll, die Preise gar nicht mal so dramatisch wie erwartet und die Leute sehr sympathisch und unglaublich hilfsbereit. Alles in allem - ich freu mich auf das Studium hier, ich freu mich auf alle neuen Leute und ich freu mich auf mein erstes echtes College-Experience.

Tot ziens!

Hanna

 

Das Leuvener Stadhuis, leider gegen die Sonne fotografiert, aber man kann nicht alles haben

 

(Noch ein bisschen Werbung zum Schluss: Meine Blog-Partnerin Weronika und ich schreiben jetzt schon seit mittlerweile knapp einem halben Jahr (!) an unserem Blog Eastplaining - kurzes Auf-die-Schultern-klopfen an uns beide, weil wir so ein gutes Team sind - und Weronika ist momentan in Texas, worüber sie ebenfalls sehr schöne Beiträge schreibt. Die sind in ihrem Blog Weronika in Texas zu finden.)


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